Hinterbliebenenrente: Unbedingt Einspruch gegen Steuerbescheide einlegen

Im Jahre 2021 hat der Bundesfinanzhof seine beiden Urteile zur möglichen Doppelbesteuerung von Renten veröffentlicht. Im Grundsatz hat der BFH eine Doppelbesteuerung verneint, hält sie aber im Einzelfall durchaus für möglich (BFH-Urteile vom 19.5.2021, X R 33/19 und X R 20/19). Gegen die beiden Entscheidungen des BFH haben die unterlegenen Kläger im Juni 2021 Verfassungsbeschwerde eingelegt (Az. 2 BvR 1143/21 und 2 BvR 1140/21).

Die Finanzverwaltung erlässt Steuerbescheide hinsichtlich des streitigen Punktes einer vermeintlichen Doppel- oder Übermaßbesteuerung von Renten vorläufig. Konkret: Steuerfestsetzungen ergehen vorläufig hinsichtlich der „Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG“. Der Vorläufigkeitsvermerk wird sämtlichen Einkommensteuerbescheiden für Veranlagungszeiträume ab 2005 beigefügt, in denen eine Leibrente oder eine andere Leistung aus der so genannten Basisversorgung erfasst wird (BMF-Schreiben vom 30.8.2021, BStBl 2021 I S. 1042).

Sollte das Bundesverfassungsgericht der Auffassung sein, dass die derzeitige Besteuerung von gesetzlichen Renten und Renten aus berufsständischen Versorgungswerken sowie ähnlichen Altersversorgungen verfassungswidrig zu hoch ist, so können die Steuerbescheide, die jetzt und in Zukunft ergehen, auch ohne vorherigen Einspruch geändert werden.

Steuerrat24 hat bereits darauf hingewiesen, dass bei Vorläufigkeitsvermerken immer Vorsicht angebracht ist. Allzu oft verlassen sich die Steuerbürger darauf, dass ein Vorläufigkeitsvermerk – insbesondere aufgrund von Musterverfahren – so umfassend ist, dass bei einem positiven Urteil des Gerichts auch der eigene Steuerbescheid geändert werden kann. Ist ein Vorläufigkeitsvermerk aber zum Beispiel im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift ergangen, so geht es auch nur um die Frage der Verfassungsmäßigkeit – und um nichts anderes. Diese bittere Erfahrung mussten schon viele Steuerpflichtige machen.

Aktuell: Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom 30.8.2023 (X B 58/23) darauf aufmerksam gemacht, dass der oben genannte Vorläufigkeitsvermerk zur Rentenbesteuerung möglicherweise nicht die Hinterbliebenenrente betrifft. Das heißt: Wer eine Hinterbliebenenrente bezieht, sollte unbedingt – trotz des Vorläufigkeitsvermerks – Einspruch gegen alle noch offenen Einkommensteuerbescheide einlegen (siehe Mustereinspruch unten). Ansonsten besteht die Gefahr, dass bei einem eventuell positiven Urteil des Bundesverfassungsgerichts später die eigenen Steuerbescheide nicht geändert werden können und es bei einer zu hohen Besteuerung der Hinterbliebenenrente bleibt. Das steuerliche Verfahrensrecht kann also Probleme bereiten!

Der Fall: Die Klägerin bezog im Streitjahr 2020 eine Hinterbliebenenrente aus der Basisversorgung nach ihrem im Jahr 2019 verstorbenen Ehemann. Das Finanzamt legte einen Besteuerungsanteil von 78 Prozent zugrunde. Der Einkommensteuerbescheid erging nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig, unter anderem hinsichtlich der Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG.

Mit ihrem Einspruch rügte die Klägerin eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung der Hinterbliebenenrente, da ihr Ehemann seine Altersvorsorgeaufwendungen nur teilweise habe abziehen können. Das Finanzamt und auch das Finanzgericht sahen aber überhaupt kein Rechtsschutzinteresse, da der Steuerbescheid ohne vorläufig ergangen sei. Der BFH ist anderer Meinung.

Der Streitfall sei grundverschieden von den Sachverhalten, über die der BFH in den o.g. Verfahren entschieden hat. Es ging seinerzeit um die Ermittlung der doppelten Besteuerung bei einer auf eigenen Altersvorsorgeaufwendungen der dortigen Kläger beruhenden Renten; aktuell geht es hingegen um die Frage, ob und in welchem Umfang die Bezieherin einer Hinterbliebenenrente, die dafür keine eigenen Beiträge geleistet hat, eine doppelte Besteuerung geltend machen kann.

Nun kommt es: „Diese Frage ist schon wegen der im entscheidenden Punkt unterschiedlich gelagerten Sachverhalte nicht Gegenstand der vom Finanzamt angeführten, beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 1140/21 und 2 BvR 1143/21.“

Mustereinspruch

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit lege ich Einspruch ein gegen den Einkommensteuerbescheid …… vom … .

Begründung: Sie haben meine Hinterbliebenenrente mit einem Besteuerungsanteil von …. Prozent versteuert. Derzeit beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht in den Verfahren 2 BvR 1140/21 und 2 BvR 1143/21 mit der Frage, ob die Besteuerung von Renten aus der Basisversorgung verfassungskonform ist oder ob eine so genannte Übermaßbesteuerung gegeben ist. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass meine Hinterbliebenenrente mit einem zu hohen Besteuerungsanteil versteuert worden ist, zumal die Altersvorsorgebeiträge meines verstorbenen Ehegatten / meiner verstorbenen Ehefrau nicht in voller Höhe abgezogen werden konnten.

Ich beantrage ein Ruhen meines Einspruchsverfahrens, bis das Bundesverfassungsgericht in den genannten Verfahren entschieden hat. Zwar ist mein Steuerbescheid hinsichtlich der Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung vorläufig ergangen, doch nach dem BFH-Beschluss vom 30.8.2023 (X B 58/23) ist fraglich, ob der Vorläufigkeitsvermerk auch den Fall der Besteuerung von Hinterbliebenenrenten umfasst. Es ist also ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben.

Eine weitere Begründung des Einspruchs erfolgt, sobald die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht worden sind.

 

Bei dem Muster handelt es sich nur um einen Vorschlag, der individuelle Besonderheiten natürlich nicht berücksichtigen kann. Im Einzelfall ist er – gegebenenfalls unter Hinzuziehung einer Steuerfachfrau oder eines Steuerfachmanns – entsprechend anzupassen. Und selbstverständlich kann der Erfolg des Einspruchs nicht garantiert werden.