Unfallversicherung: Ist der Sturz im Homeoffice versichert?

Bei Arbeitsunfällen sind Arbeitnehmer über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert und werden durch die Berufsgenossenschaften medizinisch, beruflich und sozial rehabilitiert (§ 8 SGB VII). Probleme gibt es dabei immer wieder bei Arbeitsunfällen im Homeoffice. Die Frage, ob es sich um einen Arbeitsunfall handelt oder nicht, kann für den Betroffenen große finanzielle Folgen haben: Wenn es ein Arbeitsunfall ist, kommt die Berufsgenossenschaft, also die gesetzliche Unfallversicherung des Unternehmens, für die Heilbehandlungskosten auf. Ist es kein Arbeitsunfall, hängt es davon ab, ob der Verletzte eine private Unfallversicherung abgeschlossen hat. Ist dies nicht der Fall, muss er Behandlungskosten, die von der Krankenkasse nicht gedeckt sind, selbst tragen.

Im Jahre 2016 hatte das Bundessozialgericht entschieden, dass ein Sturz im Homeoffice kein Arbeitsunfall ist und nicht über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert ist. Denn bei einem „Homeoffice“ hat nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken zu verantworten (BSG-Urteil vom 5.7.2016, B 2 U 5/15 R). Im Jahre 2018 hat das Bundessozialgericht den Unfallschutz für im Homeoffice arbeitende Arbeitnehmer aber deutlich gestärkt.

Nunmehr kann auch ein Sturz auf der Haustreppe unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen. Das kann für den Weg zwischen zwei im selben Haus gelegenen Arbeitsräumen ebenso wie für den Weg von einem Außentermin ins häusliche Büro gelten (BSG-Urteile vom 27.11.2018, B 2 U 8/17 R, B 2 U 28/17 R).

Nach neuer Rechtsprechung ist bei der Feststellung eines Arbeitsunfalls im häuslichen Bereich nicht mehr vorrangig auf die eher quantitativ zu bestimmende Häufigkeit der betrieblichen oder privaten Nutzung des konkreten Unfallorts abzustellen. Maßgeblich ist nun die „objektivierte Handlungstendenz“ des Versicherten: Dabei geht es zunächst darum, dass der Versicherte „subjektiv eine berufliche Tätigkeit ausführen wollte“.

Im zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob dies „durch objektive Tatsachen eine Bestätigung findet“. Zum Zwecke dieser Objektivierung können ggf. auch der Unfallzeitpunkt, der konkrete Ort des Unfallgeschehens und dessen objektive Zweckbestimmung als äußere Indizien berücksichtigt werden. Hierbei sind stets die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.

  • Im ersten Fall hatte ein freiwillig unfallversicherter Versicherungsmakler nachts ein Softwareupdate auf den Server aufgespielt. Der Server stand in einem Kellerraum, Büro und Computer befanden sich im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses. Während des Updates musste er mehrfach hin und her laufen, dabei stürzte er im Treppenhaus. Er erlitt schwere Dauerschäden am linken Handgelenk. Die Berufsgenossenschaft erkannte dies nicht als Arbeitsunfall an – wohl aber das Bundessozialgericht.
  • Im zweiten Fall hatte die Mitarbeiterin eines Unternehmens ihr Büro im Keller ihres Wohnhauses. Am Unfalltag war sie zunächst auf der Messe in München und sollte dann nachmittags über die firmeneigene Computersoftware den Geschäftsführer des Unternehmens in München kontaktieren. Sie betrat rechtzeitig ihr Haus und stürzte dann auf der Treppe zu ihrem Kellerbüro. Dabei wurde ein Wirbel im Lendenbereich schwer beschädigt. Das Bundessozialgericht erkannte einen Arbeitsunfall an.

Zwei aktuelle Fälle zeigen aber, dass das Pendel auch in die andere Richtung ausschlagen kann, also in Richtung „privater Unfall“, der nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt ist:

  • Im Jahre 2019 hat das Sozialgericht München entschieden, dass Arbeitnehmer im Homeoffice nicht gesetzlich unfallversichert sind, wenn sie beim Gang zur Toilette stürzen und sich verletzen. Während Arbeitnehmer beim Toilettengang im Betrieb gegen Unfälle versichert sind, greift der Schutz im Homeoffice nicht, weil der Arbeitgeber dort keinen Einfluss auf die Sicherheit hat (SG München vom 4.7.2019, S 40 U 227/18).
  • Aktuell hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entschieden, dass ein Sturz auf dem Weg ins Homeoffice kein Arbeitsunfall ist. Der vom Kläger zu Beginn seiner Tätigkeit zurückgelegte Weg ist weder als Weg zur Arbeit noch als Betriebsweg gesetzlich unfallversichert (Urteil vom 9.11.2020, L 17 U 487/19) entschieden.
    • Der Kläger ist als Gebietsverkaufsleiter seit mehreren Jahren im Außendienst versicherungspflichtig beschäftigt. Er arbeitet dabei regelmäßig auch im Homeoffice. Im September 2018 stürzte er auf dem Weg von den Wohnräumen in seine Büroräume eine Wendeltreppe hinunter. Dabei erlitt er einen Brustwirbeltrümmerbruch. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Es liege kein Arbeitsunfall vor. Der Sturz habe sich im häuslichen Wirkungskreis und nicht auf einem versicherten Weg ereignet. Das LSG stützt diese Auffassung.
    • Begründung: Der vom Kläger zurückgelegte Weg sei weder als Weg nach dem Ort der Tätigkeit gemäß 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII (wege)unfallversichert, noch als versicherter Betriebsweg anzusehen. Bei der Wegeunfallversicherung beginne der Versicherungsschutz erst mit dem Durchschreiten der Haustür des Gebäudes. Ein im Homeoffice Beschäftigter könne niemals innerhalb des Hauses bzw. innerhalb der Wohnung auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit wegeunfallversichert sein. Die Annahme eines Betriebsweges scheide aus, da sich der Kläger zum Zeitpunkt des Treppensturzes auf dem Weg in sein Arbeitszimmer zur erstmaligen Aufnahme seiner versicherten Tätigkeit am Unfalltag befunden habe. Es handele sich bei Betriebswegen um Strecken, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt würden. Vor- und Nachbereitungshandlungen der versicherten Arbeitsleistungen fielen nicht darunter. Der Kläger habe den Weg zurückgelegt, um seine versicherungspflichtige Tätigkeit im Homeoffice am Unfalltag erstmalig aufzunehmen. Die Revision ist beim Bundessozialgericht unter dem Az. B 2 U 4/21 R anhängig.

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Aktuell ist immerhin festzustellen, dass der Gesetzgeber handelt. Am 28. Mai 2021 hat der Bundesrat nämlich dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz zugestimmt. So ist § 8 SGB VII geändert worden. Der Unfallversicherungsschutz wird danach erweitert für privat veranlasste Wege im Homeoffice während der Arbeitszeit, etwa zum Holen eines Getränks, zur Nahrungsaufnahme oder zum Toilettengang.

Auch der Weg zu bzw. von der Kinderbetreuungseinrichtung soll bei Tätigkeit im Homeoffice nun geschützt werden. Allerdings dürfte der vom LSG Nordrhein-Westfalen aufgegriffene Fall nach wie vor nicht versichert sein, nämlich der erste Weg ins Homeoffice bei Arbeitsbeginn und der letzte Weg bei Arbeitsende. Solange das Bundessozialgericht nicht zugunsten der Arbeitnehmer entscheidet, fehlt insoweit der Versicherungsschutz.

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